Politik Und Ged chtnis : Zur Soziologie Funktionaler Kultivierung Von Erinnerung

Bok av Julia Kolsch
Brauchen wir die Erinnerung an Auschwitz? Und wenn ja, welche Formen des Gedenkens waren angemessen? Verfugen moderne Gesellschaften uberhaupt uber ein kollektives Gedachtnis? Das National- und Geschichtsbewusstsein der Deutschen hangt massgeblich von ihrem Umgang mit der nationalsozialistischen Vergangenheit ab. Die Frage nach einem angemessenen Umgang mit dieser Vergangenheit ist deshalb so alt wie die Bundesrepublik und das oeffentliche Gedenken an den Holocaust ist der tragende Pfeiler deutscher Gedachtnispolitik. Oft genug hat das oeffentliche Gedenken und Erinnern an den Holocaust Debatten, Skandale, Missverstandnisse und Peinlichkeiten produziert, die sich vermeintlichen "Sprachregelungen", Tabus und Instrumentalisierungen verdanken sollen. Die Autorin rollt die Geschichte der deutschen Gedachtnispolitik seit 1945 dagegen neu auf: nicht Tabus, sondern Semantiken, die sich den Funktionsbedurfnissen des politischen Systems anpassen, regeln den Umgang mit unserer "schwierigen" Geschichte, so die These in diesem Band, der versucht, die Theorie autopoietischer sozialer Systeme fur eine aktuelle Fragestellung nutzbar zu machen. Die Konsequenzen sind erheblich: nicht nur stehen Erinnerungskonzepte zur Disposition, sondern die Gegenwartigkeit aller Aneignung der Vergangenheit unter funktionalen Bedingungen beruhrt das politische Selbstverstandnis der Bundesrepublik selbst dort, wo man es vielleicht nicht vermutet, sicher aber nicht kommuniziert. Die Frage nach einem "kollektiven" Gedachtnis, in dem der Holocaust einen Platz hat, muss dann ebenso neu gestellt werden, wie das Verhaltnis von Politik und Gedachtnis, die Bedingungen, unter denen moderne Gesellschaften ihre Vergangenheiten uberhaupt antizipieren, neu ausgelotet werden mussen.